Reise ohne Wiederkehr

Mohammed Atef

Nach der Bekanntgabe der Ergebnisse der Präsidentenwahl im Sommer 2014 war ich enttäuscht, da ich wusste, dass es das Ende war!

Viele Personen verloren nach dem „Muhammad Mahmoud“ Massaker im November 2011 die Hoffnung auf die Revolution. Andere Personen verloren diese Hoffnung nach dem „Ministerrat“ Massaker im darauffolgenden Monat oder nach der Präsidentenwahl im Jahr 2012. Natürlich betrachtete die Mehrheit den Putsch und die darauffolgenden Massaker als Verlust des Traums der Veränderung.

Ich verlor die Hoffnung noch nicht und glaubte, dass es immer noch einen Hoffnungsschimmer gab, an dem ich mich festhalten konnte. Daher versuchte ich mit meinen Kameraden, eine dritte Alternative abseits der Muslimbrüder oder der Armee aufzubauen. Wir gründeten „Front des Weges der Revolution“ und es gelang uns, im November durch einen Protestmarsch den zweiten Jahrestag der „Muhammad Mahmoud“ Schlacht im Zentrum von Kairo zu beleben. Dieser Protestmarsch zerstörte das hässliche Denkmal, das die Putschregierung auf dem Tahrir-Platz errichtet hatte. Außerdem kam es im darauffolgenden Februar im Textilbereich zu Arbeiterstreiks, deswegen schlug mein Herz heftig, als ich Einzelheiten der Bewegungen der Mitarbeiter in Mahalla und an anderen Orten verfolgte. Ich versuchte, mich davon zu überzeugen, dass die Ergebnisse im Februar 2014 wie Dezember 2006 gewesen wäre, um die Seele in den Körper noch einmal zurückzubringen und die soziale Bewegung erneut zu beleben.

Aber das war ein Todesröcheln oder der letzte Schauer des Körpers des Patienten vor seinem Tod, bevor Sisi im Juni 2014 zum offiziellen Präsidenten des Landes erklärt wurde.

Ich betrachtete den Amtsantritt des Generals als das Ende… das Ende der Januarrevolution und des Traums, Ägypten zu verändern und seinem Volk guten Lebensstandard, Freiheit und Wohlstand zu ermöglichen, die wir verdienen.

Wir sind stolz darauf, eine fünftausend Jahre alte Zivilisation zu haben, aber es war eine Zivilisation, die durch ihre Arbeiter aufgebaut wurde, die von Pharaonen und Sultanen versklavt wurden, um Pyramiden und Paläste zu bauen, ihr Land zu bebauen und in ihren Fabriken zu arbeiten. Sie sollten unter Elend leiden, damit eine Gruppe von Offizieren und Geschäftsleuten wie Parasiten leben konnte, als hätten sie das Blut und den Schweiß anderer ausgesaugt.

Mit einigen Freunden führte ich ein Gespräch über meinen pessimistischen Blick auf die Zukunft, da es vollbracht war und wir eine vernichtende Niederlage erlitten, daher konnten wir uns nicht standhalten oder eine andere Revolution in den nächsten 10 oder 15 Jahren nicht machen. Einige meiner Freunde glaubten nicht, was ich sagte, weil ich vorher im Jahr 2011 und in den darauffolgenden Kämpfen versuchte, den Menschen die Hoffnung zu geben. Einige waren schockiert und andere sahen den Zusammenbruch, aber sie wollten es nicht glauben.

Was in diesem Zusammenbruch in meiner Erfahrung schmerzvoll ist, sind die langsamen Ergebnisse wie Slow-Motion, als hätte man ein Gebäude gesehen, das man in mindestens zwei Jahrzehnten errichtet hätte, dann hätte es Stein für Stein vor Augen zerstört. Wenn eine Gruppe zum Beispiel aus fünf Personen bestanden war, kamen nur vier Mitglieder in der darauffolgenden Woche, dann drei und danach zwei. Daher versuchte man, mit den Abwesenden zu kommunizieren und sie zu ermutigen, zum Meeting zu kommen und die politische Aktivität fortzusetzen, dann kam ein oder zwei Personen, danach konnte man beim nächsten Treffen drei Personen sehen, dann 2, dann 1, danach verschwand die Organisation, als ob er nie existiert hätte.

Die revolutionären Organisationen brachen plötzlich durch Sicherheitsbeamten nicht zusammen, sondern sie wurden wegen der Frustration getötet. Im Jahr 2011 waren die jungen Menschen bereit, in ihren Brüsten die Kugeln zu erhalten, ohne an weltliche Verpflichtungen oder Verantwortungen zu denken, weil die Hoffnung da war. Man war bereit, sein Leben zu opfern, und auch glaubte, dass das Opfer nicht vergebens gewesen wäre. Zum Beispiel wäre ich gestorben, aber meine Familie, Freunde und mein Volk hätten von diesem Opfer profitiert, dann hätte sich Ägypten zum Besseren verändert und wir hätten gesiegt und eine neue, freie Gesellschaft aufgebaut, in der es weder Reiche noch Arme gegeben hätte, sondern jeder wäre vor dem Gesetz gleich gewesen. Daneben wären Folter, Beleidigung und Demütigung verschwunden, unter denen wir gelitten hatten.

Aber das war in der Vergangenheit! Im Jahr 2014 erkannten viele Leute, dass es vergebens war. Das Regime und die Konterrevolution gewannen! Warum demonstrierte ich an diesem Zeitpunkt, wenn ich doch wusste, dass die Demonstration zu nichts führte? Warum sollte ich meinen Job verlassen, um an einer politischen Veranstaltung teilzunehmen, obwohl ich wusste, dass dies zu nichts führte? Warum opferte ich mein Leben, wenn dieses Opfer vergebens war? Daher konnte man durch Frustration getötet werden. Nachdem die Präsidentschaftswahl vorbei gewesen war, schaute ich mich um und fand nur Scheitern. Ich fühlte das Scheitern auf allen Ebenen. Zum Beispiel scheiterten die politische Bewegung und auch die Revolution. Beruflich arbeitete ich in einem elenden Büro, in dem ich die Sonne nicht sehen konnte und ein Gehalt erhielt, das dem Viertel meines Einkommens zu Beginn meiner journalistischen Tätigkeit entsprach. Darüber hinaus ging ich in Konkurs, nachdem ich alles für politische Arbeit ausgegeben hatte. Ich betrat mein Büro zu Hause und schloss stundenlang und sogar tagelang die Tür. An diesen Tagen konnte mich meine Frau, Begleiterin der Revolution und Liebe meines Lebens, nicht sehen. Außerdem konnte ich kein Gespräch mit ihr mehr als zwei Sätze am Tag führen. Meine psychische Gesundheit war so schlecht, dass ich stundenlang auf demselben Stuhl saß, schaute nur an die Decke und betete zu Gott, dass die Decke über mir einstürzte, um zu sterben, weil ich den Willen zum Leben verlor.

Ich konnte nicht schlafen, blieb jede Nacht bis mindestens 5 Uhr morgens wach und warte darauf, dass ich an die Reihe kam. Darüber hinaus wusste ich, dass die Sicherheitspolizei zu jeder Zeit kam, um mich zu bestrafen. Woran dachten diejenigen, die sich über das Abschlachten der Mitglieder der Muslimbrüder in „Rabaa-“ und „Al-Nahda-Platz“ und an anderen Orten freuten? Perfekte Menschenrechtler und Kämpfer, die mir beigebracht hatten, feierten nach jedem Massaker. Ich war überrascht, dass sie in die Hölle des Faschismus fielen, als ob das Feuer sie nicht berührt hätte, nachdem der General mit dem Abschlachten der Islamisten fertig war.

Wo fliehe ich? Wohin gehe ich? Leider wusste ich nicht! Mein Gesundheitszustand verschlechterte sich körperlich und psychologisch von Tag zu Tag. Ich lebte nur durch Kaffee und Zigaretten, die ich zu viel geraucht hatte, bis mein Gewicht abnahm und ich zu dünn wurde. In Bezug auf meinen Zusammenbruch ging ich wütend an meinen Arbeitsplatz und reichte Anfang 2015 nach Beleidigungen und Geschrei über finanzielle Beiträge und Arbeitsbedingungen meine Kündigung bei meinem Chef und meiner Chefin ein. Als ich nach Hause zurückkehrte, empfand ich Reue, weil diese Leute meine Freunde waren und ich wusste, dass sie unter den schwierigen Umständen in der Presseeinrichtung, in der wir arbeiteten, ihr Bestes getan hatten, um unsere finanziellen Beiträge zu sichern. Aber ich gab meine Kündigung nicht auf und die Zusammenbrüche gingen weiter, dann verschlechterte sich meine Beziehung zu meiner Familie, meine Ehe endete und ich verließ alle sozialen Aktivitäten. Ich hatte keine Energie, mit jemandem zu sprechen oder Zeit mit irgendwem zu verbringen.
Ich fragte mich selbst: „Wohin gehe ich nach meiner Kündigung? Wo arbeite ich? Wie kann ich essen?“ Nach dem Putsch war ich als revolutionärer Journalist nirgends willkommen! „Wer akzeptiert meine Geschichte und meine Meinungen? Tawfiq Okasha? Lamees Al Hadidi? Amr Adib?“ Die Zuhälter dominierten die Szene im Fernsehen, in Zeitungen und im Radio.

Danach beschloss ich, Ägypten zu verlassen, bevor die Folterknechte des Regimes mich fanden und die Frustration und das Scheitern mich umbrachten. Damals hatte ich keine Option als Qatar, der letzte Ort, nach dem ich eines Tages fliegen wollte, aber es war die einzige verfügbare Option. Dort fand ich einen Job als Journalist und dachte, dass dies ein vorübergehender Traum gewesen wäre, dadurch hätte ich eine alternative digitale Medienplattform gegründet, um einige Prinzipien zu bewahren, für die wir vor und während der Revolution gekämpft hatten. Ich war natürlich naiv!
Das Reisen nach Qatar erforderte eine Sicherheitsfreigabe und ließ Zweifel wegen einer starken Medienkampagne des ägyptischen Regimes, das Doha für alles verantwortlich machte, was in Ägypten von der Revolution bis zu Terroranschlägen passiert war, daher ging ich nicht zu Sicherheitskräften der Regierung. Falls ich ihre Büros betreten hätte, hätte ich sie möglicherweise nie wieder verlassen. Aus diesem Grund kontaktierte ich eine Reiseagentur und buchte Tickets für die Malediven, die als eines der wenigen Länder waren, das Ägypter ohne ein Besuchervisum akzeptierte. An diesem Ort gab es für begeisterte Taucher wie mich eine schöne Natur, danach fuhr ich nach Doha, um ein neues und vorübergehendes Leben zu gründen und auf die Rückkehr nach Ägypten zu warten.

Als ich Ägypten verließ, war dieser Tag der Schlimmste in meinem Leben. Ich betrat jedes Zimmer meines Hauses, blieb dort minutenlang, berührte die Wände, als wären sie Kaaba gewesen, und weinte. Außerdem sah ich Geister meiner Kameraden, weil wir uns in diesen Zimmern trafen, um die Revolution zu planen und uns darauf vorzubereiten. Ich sah auch Geister meiner Liebenden, mit denen ich Zeit verbrachte, Spaß hatte und lachte, bis alle Nachbarn unser Gelächter hören konnten, dann sah ich auch Geist meiner Ex-Frau. Ich versuchte, nicht vor meiner Mutter zu weinen, die mich zum Flughafen brachte. Aus dem Autofenster starrte ich und atmete schwer und die Tränen flossen in Strömen, dann umarmte ich meine Mutter so stark, als ob ich ihre Rippen gebrochen hätte.

Damals versuchte ich mich zu beherrschen und meine Gefühle zu kontrollieren, während ich so langsam lief, als wären mir an Füße schwere rasselnde Eisenketten angelegt worden. Dann stand ich vor dem Passbeamten, der lächelte, den Pass abstempelte und mir eine gute Reise wünschte. Sobald ich die Verfahren der Passkontrolle beendete, brach ich wieder in Tränen aus, aber ich versuchte, meine Gefühle schnell zu kontrollieren, um am Flughafen keinen Verdacht zu erregen. Das letzte Mal flossen meine Tränen wieder, als ich in dem Flugzeug Platz nahm. Vom Himmel sah ich Ägypten zum letzten Mal, auch die Wüste und die hässlichen Betonhäuser, von deren Erneuerung ich geträumt hatte. Ich erinnerte mich an die Revolution, als ob ich mir ein Video angeschaut hätte.

Die nächsten zwei Jahre verbrachte ich in Doha und fühlte damals unsagbares Elend. Ich hatte einige Freunde, aber ich konnte mein Arbeitsumfeld nicht ertragen, daher betete ich die ganze Zeit, dass ein Wunder geschehen wäre, damit ich nach Ägypten zurückgekehrt oder in ein anderes Land geflogen wäre, bis ich das endlich machen konnte. Dann beeilte ich mich, mich für ein Doktoratsstudium in Deutschland zu bewerben, das als Hauptstadt des Exils berühmt wurde, daher verließ ich Katar ohne Wiederkehr. Aber gleichzeitig wünschte ich mir immer noch, nach Ägypten zurückkehren zu können, und hatte noch die Schlüssel zu meiner Wohnung in Kairo, die ich neben meinem Bett aufbewahrte und mir von Zeit zu Zeit anschaute.

Manchmal trug ich die Schlüssel, hielt sie nah an meine Nase und schloss meine Augen, dann hatte ich das Gefühl, als ob ich den Geruch der Wohnung und der Zigaretten meiner Freunde gerochen sowie ihr Lachen und die Stimme meiner Ex-Frau gehört hätte. Außerdem fühlte ich, als ob meine Mutter an die Tür geklopft hätte, um mich zum Mittagessen einzuladen, usw. Dann öffnete ich meine Augen und sah, dass der Schnee draußen in Berlin fiel, daher kehrte ich in die Gegenwart zurück und hatte verschiedene Gefühle. Zum Beispiel war ich in diesem Moment dankbar, dass ich noch lebend und nicht im Gefängnis des Generals war, aber gleichzeitig fragte ich mich: “Was wäre, wenn ich mich im Jahr 2011 ein Märtyrer gewesen wäre, mich ausgeruht und nicht gesehen hätte, was ich danach sah? Ist das nicht besser? Wann könnte ich nach Ägypten zurückkehren? Wann werden der General und seine Diener fallen?

Am Ende beruhigte ich mich und versuchte meine unruhigen Gefühle zu kontrollieren, dann sagte ich mir selbst: „Will ich nach Ägypten zurückkehren? Dann sollte ich meine Zeit nutzen, um das aufzubauen, was zerstört wird, und mich auf die nächste Revolution vorzubereiten, von der ich keinen Zweifel habe, dass sie stattfinden wird.“

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